von Charlotte Goos, 10. Klasse, Deutscharbeit
Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist so alt wie die Geschichte der Menschheit. Einer, der meint eine Antwort darauf gefunden zu haben, ist Dalai Lama. Er formulierte seine Antwort so: "Ich denke, dass der Sinn des Lebens darin besteht, glücklich zu sein."
Schon vor dem Dalai Lama haben viele Philosophen das Streben nach Glück als das eigentliche Lebensziel angesehen. Sogar in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung ist das Streben nach Glück als "unveräußerliches Recht" angesehen: "... Wir halten diese Wahrheiten für selbstverständlich, dass alle Menschen gleich geschaffen worden sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit bestimmten unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind, zu denen Leben, Freiheit und Streben nach Glück gehören; dass zur Sicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingesetzt sind, die ihre rechtmäßige Gewalt von der Zustimmung der Regierten herleiten; dass, wenn immer eine Regierungsform diesen Zwecken verderblich wird, es das Recht des Volkes ist, sie zu ändern oder abzuschaffen und eine neue Regierung einzusetzen und diese auf solchen Grundlagen aufzubauen und ihre Gewalten in solcher Form zu organisieren, wie es ihm zur Gewährleistung seiner Sicherheit und seines Glücks geboten scheint ...". (Quelle: Amerikanische Unabhängigkeitserklärung, 4. Juli 1776)
Doch was ist Glück? Wenn man Philosophen, Priester, Ideologen und Lebemenschen befragt, erhält man unterschiedliche Antworten. Allen gemeinsam ist die Vorstellung eines sehr angenehmen Gefühlszustandes. Unterschiede bestehen in den Rezepten, wie sich dieser erreichen lässt. Casanova z.B. erklärte sich als glücklich "im tiefsten Grunde", weil er vollkommene Gesundheit, keine Pflichten, keine Sorgen, keine Abhängigkeit, reichlich Geld, Glück im Spiel und Erfolg bei den Frauen habe, - eine Menge von Voraussetzungen, die die wenigsten Menschen besitzen. Sind sie deshalb unglücklicher? Hans im Glück war in dem Moment glücklich, als er frei war von allem Besitz und allen Belastungen, die für andere Menschen erst die Gründe zum angeblichen Glück darstellen. Gibt es überhaupt allgemeine Regeln, die für jeden zutreffen? Sprechen überhaupt alle vom gleichen Gemütszustand, wenn sie vom Glück reden? In der Brockhaus-Enzyklopädie wird Glück folgendermaßen definiert: "komplexe Erfahrung der Freude angesichts der Erfüllung von Hoffnungen, Wünschen, Erwartungen, des Eintretens positiver Ereignisse, Eins sein des Menschen mit sich und dem von ihm Erlebten." In anderen Sprachen wird Glück als Gunst der Umstände und als Glücksgefühl auseinander gehalten: im Lateinischen "fortuna" (Glück haben), "felicitas" (Glücksmoment erleben) und "beatitudo" (dauerhaft im Glück leben), im Englischen "luck", "pleasure" und "happiness". Es gibt das schnelle und kurze Glück: ein Gewinn, eine gute Schulnote, ein gefundener Geldschein. Und es gibt das tief empfundene, nachhaltige und lang wirkende Glück. Dieses besteht im "Eins sein" des Menschen: dass seine Wertevorstellungen und sein gelebtes Leben sich decken, Geborgenheit in einer Gemeinschaft von Menschen und Geborgenheit in der Natur, Liebe und Anerkennung zu erfahren. Alle Menschen, gleich welcher Rasse und welcher Kultur, empfinden ein positiveres Gefühl, wenn sie Gutes tun, z.B. anderen helfen, als wenn sie sich schlecht verhalten. Es ist also erlaubt, über alle Religionen, Kulturen und Rassen hinweg nach allgemeingültigen Regeln zum glücklichen Leben zu fragen. So kann auch Dalai Lama Antworten geben, die für uns, - ob Christen, Juden, Moslems oder Atheisten in der westlichen Welt -, Bedeutung haben.
Der Dalai Lama gilt als Wiedergeburt Tschenresis. Dieser ist der Buddha des Erbarmens und gleichzeitig der Schutzpatron Tibets. Er hat auf seine eigene Erlösung (den Eingang ins Nirwana) verzichtet und wird solange wiedergeboren, bis alle Menschen erlöst sind. Dalai Lama bedeutet "Ozean des Wissens" und "wunscherfüllendes Juwel". Der Dalai Lama ist religiöses und politisches Oberhaupt der Tibeter. Der jetzige Dalai Lama, Tenzin Gyatso, die 14. Inkarnation, will jedoch eine Demokratie für Tibet erreichen, in der er keine politischen Ämter mehr innehat.
Am 6. Juli 1935 wurde der heutige Dalai Lama, (damals hieß er noch Lhamo Dhondrub) in Taktser, einem kleinen Dorf in der tibetischen Provinz Amdo, als Sohn einer Bauernfamilie geboren. 1937 war eine Delegation hoher Lamas auf der Suche nach der Reinkarnation. Prophezeiungen führten sie zu Lhamo Dhondrub. Auch einige seiner Brüder wurden als Wiedergeburten von großen Meistern erkannt. Im Juli 1939 wurde Lhamo Dhondrub offiziell als 14. Dalai bestätigt und erhielt seinen jetzigen Namen Tenzin Gyatso.
1940 (im Alter von 4 ½ Jahren!) bestieg der 14. Dalai Lama den Sengtri, den Löwenthron, zum ersten Mal. Nun fing auch die lange Ausbildung in Klöstern an, die erst im Alter von 25 Jahren endete. Später beschrieb er sie als zu trocken für einen Machthaber des 20. Jahrhunderts. Sie sei eher etwas für einen mittelalterlichen Priester gewesen. Im Sommer 1949 begann die chinesische Volksbefreiungsarmee mit der Eroberung Tibets (Höhepunkt am 7. Oktober 1950). Dem damals erst 15-jährigen Dalai Lama übertrug man am 17. November 1950 die Herrschaft über Tibet. Am 9. September 1951 marschierten chinesische Truppen in der tibetischen Hauptstadt Lhasa ein und besetzten diese. 1954 misslangen die Versuche des Dalai Lama in Peking Friedensgespräche mit Mao Tsetung zu führen. Am 10. März 1959 erhob sich das tibetische Volk in einem Volksaufstand gegen die chinesischen Besatzer. Dabei starben bis zum Herbst 1960 rund 90'000 Tibeter. So sah sich der Dalai Lama gezwungen, über den Himalaya nach Indien ins Exil zu fliehen.
Für sein Engagement für Gewaltlosigkeit und sein Bemühen, eine Lösung für das Tibetproblem zu finden, erhielt er 1989 den Friedensnobelpreis. Der 14. Dalai Lama genießt weltweit größtes Ansehen. Seine charismatische Persönlichkeit ist sicher auch ein Grund für die verstärkte Hinwendung von Menschen aus westlichen Ländern zu fernöstlichen Kulturen. Im Stern Nr. 1/2004 wird er als verlorener König und Seelenretter des Westens bezeichnet, als Tibets "Menschgewordener Gott und die größte Sehnsuchtsleinwand für Sinnsüchtige".
Der erste Eindruck, den das Zitat Dalai Lamas "Ich denke, dass der Sinn des Lebens darin besteht, glücklich zu sein" beim Leser hinterlässt, ist Zweifel und Nachdenklichkeit. Fehlt da nicht etwas? Der ganze Sinn des Lebens kann doch nicht darin bestehen, glücklich zu sein. Wirkt das nicht egoistisch? Fehlt da nicht das kämpferische Engagement für die Probleme auf dieser Welt? Ist Glück die passive buddhistische Lebenshaltung, das Dauerlächeln? Geht man dem Zitat auf den Grund, merkt man, dass dies nicht der Fall ist. Entscheidend ist das Verständnis des Dalai Lama von Glück, dessen Erreichen er in seinem Buch "Der Weg zum Glück" genau beschrieben hat:
"Es gibt zwei Wege, die Ursache für Glück zu schaffen. Der erste ist äußerlich. Der zweite Weg besteht in geistiger Entwicklung... Wir müssen Ärger minimieren sowie Güte und Warmherzigkeit kultivieren... Die wichtigste Methode, ein glückliches Leben zu erreichen, besteht darin, unseren Geist in täglichen Übungen zu schulen, die negatives Verhalten schwächen und positives Verhalten stärken... Ich glaube, dass die Übung von Mitgefühl und Liebe- ein aufrichtiges Gefühl für Bruderschaft und Schwesternschaft- die allumfassende Religion ist. Es kommt nicht darauf an, ob Sie Buddhist, Christ, Moslem oder Hindu sind oder ob Sie überhaupt eine Religion ausüben. Worauf es ankommt, ist ihr Gefühl der Verbundenheit mit der Menschheit... Die spirituelle Praxis hat drei Aspekte: Ethik, konzentrierte Meditation und Weisheit. Jeder Aspekt dient als Grundlage für den nächsten. Es gibt zwei Arten ethischen Verhaltens: 1. Die Neuausrichtung von körperlichen und sprachlichen Handlungen, um anderen nicht zu schaden und 2. die Kultivierung von tiefer Fürsorge für andere... Manchmal verwechselt man Glück mit Vergnügen. Zum Beispiel sprach ich kürzlich vor indischem Publikum in Rajpur. Ich sagte, dass Glück der Sinn des Lebens sei. Einer der Anwesenden meinte, dass wir nach Rajneesh unsere glücklichsten Momente beim sexuellen Verkehr hätten, dass man durch Sex zu höchstem Glück kommen könne. Er wollte wissen, was ich von dieser Idee hielte. Ich antwortete, dass von meinem Standpunkt aus das höchste Glück im Erreichen der Befreiung bestehe, in der es kein Leiden mehr gibt. Das ist echtes, dauerhaftes Glück. Wahres Glück bezieht sich auf den Geist und das Herz. Glück, das vornehmlich von physischem Vergnügen abhängt, ist instabil - an einem Tag ist es da, am nächsten vielleicht nicht."
Dalai Lama betont also die geistige Entwicklung, das Absolvieren von täglichen meditativen Übungen und die Hinwendung zu unseren Mitmenschen als die Wege zum Glück.
Die notwendigen Übungen, die uns helfen, eine durchlässige Verbindung von Körper und Geist zu erreichen, erklären moderne Gehirnforscher wie Stefan Klein neurophysiologisch. Der Dalai Lama nennt sie Konzentration, Meditation oder Stille. Sie sind mit Arbeit verbunden, Arbeit an sich selbst und Arbeit für sich selbst. Der Dalai Lama: "Die eigentlichen Geheimnisse auf dem Weg zum Glück sind Entschlossenheit, Anstrengung und Zeit." Klein trägt viele Studien zusammen, die belegen, dass äußere Faktoren wie Geld und Karriere, aber auch Geldmangel oder Arbeitslosigkeit weniger als 10 Prozent unserer Glücksgefühle bestimmen. Zum selben Befund kommt der Dalai Lama, wenn er auf recht witzige Weise die Wohnungseinrichtungen oder Badezimmer-Utensilien sowie den Essensaufwand von reichen und armen Menschen, die er getroffen hat, miteinander vergleicht. Glück kann man lernen - wichtig ist, dass wir wissen, nach welchen Regeln das Glück uns erfüllt. Diese Regeln, Anleitungen für die Glücksarbeit, zeigt das Buch des Dalai Lama auf: Glück ist eine Übungssache. Jeder Mensch hat ein Recht auf Glück - doch muss er bereit sein, ein Leben lang etwas dafür zu tun.
Auf www.gallusturm.de wird das Buch "Der Weg zum Glück" so beschrieben: "Eine der großen und überzeugenden Persönlichkeiten unserer Zeit gibt in diesem Buch ihre persönliche Einführung in die Praxis des meditativen Lebens. Darum geht es: Eine Lebenshaltung zu gewinnen, in der man mit den Widrigkeiten des alltäglichen Lebens so umgeht, dass man sich und anderen nicht schadet. Misstrauen, Eifersucht, Wut, negatives Denken sind ebenso überwindbar wie Gefühle von Unsicherheit und Überforderung. Ausgehend von alltäglichen Situationen, zeigt der Dalai Lama: Innere Zufriedenheit ist dem möglich, der sich von allem befreit, was im Leben unwesentlich ist. Ethisch handeln, meditativ leben, Weisheit üben: Der Weg zum wahren Glück. Ein Basiswerk der Lebenskunst".
Was macht das gute Leben aus? Wie lassen sich die besten Vorsätze in den Alltag übertragen? Dalai Lamas Botschaft besteht darin, dass man mehr nachdenken und sich von allem Unwesentlichen befreien soll, um so den Seelenfriede zu erreichen. Kurzsichtigkeit und unmenschliches Verhalten stehen dem Glück im Weg, echte Stärke und innere Ruhe findet der Mensch durch Meditation und durch gute Taten.
Für mich fallen die Ansichten des Dalai Lama in die Kategorie "Philosophie/Theologie", d.h. man kann bzw. muss sie glauben oder nicht, wissenschaftlich beweisen kann man sie nicht. Die Psychologen, Soziologen und Mediziner gehen an die Frage "Was ist Glück" teilweise ganz anders heran und kommen daher auch zu anderen Ergebnissen - die allerdings denen des Dalai Lama nicht zwangsläufig widersprechen müssen.
Kritik an Dalai Lama und seinen Ansichten wird z.B. von www.gluecksforschung.de (Webseite des Glücksforschers Bernd Hornung) ausgeübt: "Viele gute Ideen und Glücksvorstellungen, wie z.B. neuerdings die des buddhistischen Religionslehrers Dalai Lama in seinem Büchlein "Der Weg zum Glück" scheinen auf den ersten Blick plausibel zu sein, stellen sich aber in Wahrheit als mehr als 2300 Jahre alte, zu kurz zupackende, buddhistische Heilslehre heraus. Seine Heiligkeit schreibt beispielsweise "Was ist wirklich wesentlich? Kann man das, was ein gutes Leben ausmacht, auch einüben- wenn der Alltag stresst, Unsicherheiten unser Leben bestimmen? Ich bin überzeugt: Wir können etwas tun zu unserem Glück. Gelassenheit und Seelenruhe sind jedem möglich." Dann gibt es eine Einführung in die Praxis des meditativen Lebens: Eine Lebenshaltung zu gewinnen, in der man mit den Widrigkeiten des Lebens so umgeht, dass man sich und andern nicht schadet. Misstrauen, Eifersucht, Wut, negatives Denken seien ebenso überwindbar wie Gefühle von Unsicherheit und Überforderung, wie schon Buddha lehrte: "Innere Zufriedenheit ist dem möglich, der sich von allem befreit, was im Leben unwesentlich ist." Dabei empfiehlt der Herder Verlag sein Büchlein folgendermaßen: "Ethisch handeln, meditativ leben, Weisheit üben. Der Weg zum wahren Glück. Ein Basiswerk der Lebenskunst." Wahnsinn! "
Es gibt noch andere Einwände: soll etwa das Glück dem verwehrt sein, der für tägliche Übungen und Meditationen keine Zeit hat? Woher bezieht eine Frau in der Doppelbelastung Beruf und Mutterrolle Glücksempfinden?
Als ich den zitierten Glücksforscher Bernd Hornung zu Dalai Lamas Meinung zum Glück per email befragte, schrieb er mir folgendes zurück: "Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst. Das Leben hat von Natur aus keinen Sinn, aber man kann jeden Sinn hineinlegen. Ein Selbstmordkandidat wird dir sagen, dass das Leben keinen Sinn hat und jemand, der einen Partner sucht, wird dir sagen, dass der Sinn des Lebens die Liebe ist. Was Herr Lama mit Glück meint ist wertlos, weil auf der Welt ungefähr 6 Milliarden Menschen unterschiedliche Meinungen darüber haben, was das Glück ist. Jeder Zulu, Arabesch auf Samoa, Schafzüchter in Australien, Hindu, türkische Putzfrau, Spekulant an der New Yorker Börse, deine Freundinnen, verstehen etwas anderes unter Glück. Diese Fragestellung ist überholt und bringt uns nicht weiter."
In unserer pluralistischen Gesellschaft ist jeder seines Glückes Schmied. Es gibt tatsächlich viele verschiedenen Wege, "auf seine Facon selig zu werden". Besonders wir jungen Menschen suchen nach Vorbildern, unser Leben so zu gestalten, dass wir uns gut fühlen. Ich denke, dass Dalai Lama dazu wesentliche Ideen beitragen kann. Für mich sind folgende Gedanken, Übungen und Vorstellungen hilfreich, die ich auch in meiner christlichen Religion antreffe: - Das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Menschheit über alle Religionsgrenzen hinweg. Daraus ergibt sich Friedfertigkeit und Liebe. - Die Bedeutung der Warmherzigkeit und Fürsorge für andere - Selbstdisziplin zu üben, um negatives Verhalten und böse Worte zu minimieren und Positives zu fördern - Innere Ruhe zu finden (dafür gibt es außer der Meditation noch andere Wege: tiefe Gespräche, Musik hören und machen, Lesen, Basteln, Wandern, Singen usw..) - Aufmerksamkeit und Bewusstheit schulen, um die Dinge um mich herum klarer wahrzunehmen und tiefer zu erleben
Ich bewundere an Dalai Lama das "Eins sein" seiner Person, seines Verhaltens und seiner Wertevorstellungen. Er ist eine der großen religiösen Lichtgestalten der Menschheit, wie auch Mahatma Gandhi in Indien es gewesen ist, in würdiger Nachfolge der großen Religionsstifter Jesus Christus, Mohammed und Buddha.
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