Während
Platon eine transzendente Verankerung menschlichen Glücksstrebens für die
Voraussetzung jeder Art von Glück hält, glaubt sein Schüler
Aristoteles
(384-323) darauf verzichten zu können und beschränkt sich darauf, das Glück des
Menschen ausschließlich durch die gezielte Ausbildung des eigenen Denkens zu
erreichen. Dieses Denken erwirbt seine Inhalte nicht durch die von Platon
gelebte und geforderte innere Schau und Teilhabe an dem innerlich transzendenten
Licht des Guten, sondern durch Abstraktion des geistigen Wesens der Dinge durch
die Sinne zusammen mit den dem menschlichen Geiste innewohnenden logischen
Gesetzmäßigkeiten und Ideen. Durch so erworbenes Wissen werde der Mensch
tugendhaft und tüchtig. Diese beiden Eigenschaften wiederum sind für Aristoteles
zum einen selbst Glück und zum anderen Voraussetzung für das Glück, das sich im
verantwortlichen Dasein für die Gemeinschaft der Polis verwirklichen soll. Die
Gründe dieses nach außen hin orientierten Menschenbildes sind vermutlich in
seiner die Naturphilosophie vorziehenden Einstellung zu suchen.
Ähnliches
geschieht im philosophisch-theologischen Denken des Mittelalters in der Lehre
des
Thomas von Aquin (1225-1274). Im Gegensatz zum augustinischen
Denken, das Gott bzw. das höchste Sein im Innersten des Menschen sucht,
vollzieht Thomas von Aquin - vorbereitet durch die spezifisch geistige
Entwicklung des Hochmittelalters - eine Wendung vom Innersten nach draußen und
sieht in der Befolgung von Geboten Gottes, die de facto der der Kirche
gleichzusetzen sind, den eigentlichen Grund des menschlichen Glücks. Das
Hindurchtönende, die Person Gottes im eigenen Inneren wird zurückgesetzt und
statt dessen auf die laute Stimme der Kirche draußen verwiesen. Wenn der Grund
des Glücks aber nicht mehr in der Beziehung des Einzelnen zu dem lebendigen und
wahren Urgrund im eigenen Innersten gelegt wird, sondern im Gehorsam gegenüber
einer Institution und deren Geboten, dann liegt auch das Glück des Menschen in
dieser Welt nicht mehr zuerst im Dasein für andere, sondern zuerst im gehorsamen
Nachvollzug von Dogmen und Geboten. Dies ist eine folgenschwere Verdrängung der
Gottes- und Nächstenliebe in die zweite Reihe, die in der Renaissance den Geist
der Humanisten und den Sturm der Reformation mit entfachen wird.
Mirandola
(1463-94) bezeichnete den Menschen als "ein großes Wunder und ein zu
bewunderndes Lebewesen" ("magnum miraculum et admirandum animae"), dessen Gott
gesetzte Freiheit ihm alle Möglichkeiten der eigenen Lebensgestaltung im äußeren
wie im Innern lasse. In diesen Worten gipfelt die - wegen eines kirchlichen
Verbotes - nie gehaltene und trotzdem weit verbreitete Rede des italienischen
Philosophen Mirandola
"Über die menschliche Würde". Sie expliziert den Kerngedanken des
Humanismus, der sich im 14. Jahrhundert von Italien aus über ganz Europa
ausbreitete und zu dessen führenden italienischen Vertretern Mirandola gehörte.
Das Glück des Menschen liegt in ihm selbst begründet. Es bedarf der Bildung und
Respektes vor dieser Würde, um mit anderen ein glückliches Leben führen zu
können.
Nicht
Luthers
(1483-1546) 99 Thesen sind radikal, sondern radikal ist sein verändertes
Menschenbild. Der Mensch ist nicht frei, sondern steckt tief in Schuld
verstrickt. Beides macht eine Rettung durch Buße unmöglich, "allein Gottes
Gnade" gelingt dies. Die Transzendenz Gottes ist damit unerreichbar für den
Menschen und Glück ist ihm für dieses Leben endgültig verschlossen. Das
eigentliche Glück erfüllt sich erst im Jenseits. In dieser Welt beschränkt sich
"Glück" - sofern dieser Begriff im Sinne Luthers hier überhaupt am Platz ist -
im gläubigen, an den biblischen Normen und Geboten orientierten Dasein für
einander.
Descartes'
(1596-1650) Cogito ergo sum wurde zum Inbegriff seiner weltweit bekannten
Grundlegung neuzeitlichen Denkens. Indem das Denken sich selbst begründet,
werden andere mögliche Dimensionen wie Gott und die Welt zweitrangig, wenn auch
noch nicht geleugnet. Die Welt hat substantielle Ausdehnung und Gestalt, aber
das Denken liefert durch Erfahrung, durch Phantasie und durch ihm angeborene
Ideen das eigentliche Wissen. Gott ist als "Idee" - nicht mehr dem platonischen
und augustinischen Begriff von "Idee" entsprechend - der Garant dafür, dass
dieses Wissen wahr ist. Damit ist das philosophische Glück vollkommen und wird
als Zufriedenheit bezeichnet. Diese allerdings soll im Sinne der neuen Humanität
von möglichst allen Menschen erreicht werden. Alles weitere Glück ist
Befriedigung eigener Wünsche und Bedürfnisse und muss sich dem Ziel einer
universalen Zufriedenheit unterordnen.
Kant
(1724-1804) neigt zu einer negativen Auffassung von der "praktischen" Natur des
Menschen - der "reinen" Vernunft wird ein wesentlich höherer Stellenwert
eingeräumt - und nennt ihn einen "ungeselligen Gesellen", womit er - in für den
heutigen Sprachgebrauch harmlos scheinender Weise - den natürlichen Hang des
Menschen zur egoistischen Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse
charakterisiert. Der "Ungeselligkeit", d.h. der "Unfähigkeit zur guten
Mitmenschlichkeit" wird durch den "kategorischen Imperativ" entgegengewirkt.
"Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass
sie allgemeines Gesetz werde". Diese verpflichtet den Menschen zur Einhaltung
bestimmter Rechte und Tugenden, wobei die letzteren als nicht erzwingbare
Pflichten bezeichnet werden. In der Verwirklichung dieser Pflichten und der
Respektierung von Rechtsvorschriften liegt im Wesentlichen das rationale
Glücksverständnis, während alles andere Glück, weil es aus "ungeselliger"
Triebhaftigkeit stammt, diesem nachgeordnet bzw. untergeordnet ist. Eine der
folgenschwersten Konsequenzen dieses Menschenbildes ist die Gehorsamspflicht des
preußischen Staatsbürgerverständnis.
(Autorin: Monika Wirthgen)